Verfehlung in der Annahme der Gabe des Maßes
Zur Kritik des Dogmas von der "je größeren Unähnlichkeit" im Verhältnis von göttlichem Schöpfergeist und Mensch als Geschöpf
In Widerspruch zur Ebenbildlichkeitsgabe, auf die uns die Schöpfungsgeschichte weist, und in absurder Verkennung der Maßgabe von Vollkommenheit in Mt 5.48 erhebt das 4. Konzil im Lateran (1215) die Unähnlichkeit zwischen Gott und Mensch, Schöpfer und Geschöpf zum Dogma:
„Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpft kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“ (Enchyiridion symbolorum DH 806)
1.
Diese Fehldeutung, die zu gravierender Fehlweisung für Theologie und Verhaltensausrichtung im Ethos des Menschen geführt hat, gebraucht ganz offensichtlich völlig unbedacht ob seiner Angemessenheit das „feststellende Verfahren“, wie es in Sätzen über Sachverhalte in Gebrauch ist. Gott wird in seiner Unähnlichkeit mit dem Sein des Geschöpflichen ebenso für feststellbar gehalten, wie das Geschöpfliche. Verfehlt wird die Teilhabe am Ursprung und die Haltung des Danks seiner Ermöglichung des Entsprungen Seienden und damit der Offenbarungsgehalt, den zu wahren jeder Lehrsatz zu wahren verpflichtet wäre.
Die Verfehlung der Weisungskraft der Bergpredigt hat eine zweifache Vollkommenheit zur Folge, in der die Maßgabe für den Menschen nicht aus der Selbstgabe des Göttlichen Wesens empfangen wird, sondern von einer der Natur Gottes entgegengesetzten Gnadengabe, die vom Willen abhängig ist und auserwählt, aber sich nicht verbinden kann mit dem Bestimmungsgrund des Menschen aus dem Gedenken seiner Ermöglichung im Schöpfergeist.
2.
Das „Ihr sollte vollkommen sein, wie auch euer himmlischer Vater vollkommen ist“ [Mt 5,48] kann man nicht ernsthaft für wahr nehmen, wenn man das dort Gesagte durch ein:
„Ihr sollt vollkommen sein“ durch die Vollkommenheit der Gnade, „wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ durch die Vollkommenheit der Natur, beides nämlich auf seine Weise:“ - und dann schließt das Laterankonzil jenes Diktum einer Feststellung über Unähnlichkeitsverhältnisse zwischen göttlicher und menschlicher Natur als Scheinbegründung an: „Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpft kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, daß zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.“
Damit untergräbt das Dogma für die folgenden Jahrhunderte die Möglichkeit von kirchlicher Theologie (als kirchliche Dogmatik), aus dem Gottesverhältnis der Ebenbildlichkeitsverheißung und ihrer Erfüllung in der im Kommen des Geistes ermöglichten Nachfolge Christi – denn das „Ihr“ in der Vollkommenheitsweisung der Bergpredigt geht auf die durch ihn im erneuerten Bund gestiftete communio und ist nicht in einer Feststellung über Eigenschaften und Fähigkeiten der geschöpflichen Natur von Menschen (die in Dn 806 ja gar nicht unterschieden wird von Geschöpfen überhaupt).
Es untergräbt ihre Stellung in der Gesellschaft als Stimme der begründeten Weisung der Sittlichkeit aus Besinnung der Maßgabe für das Selbstsein als Personen im je zu erneuenden Dank des Ursprungs als Schöpfung – in Teilhabe – zur Erneuerung des Bundes.
3.
Das „je größer“ als ein je „unähnlicher“ (vgl. Erwin Dirscherl, „In Beziehung leben“ S. 67) ist Kennzeichnung einer Inadäquatheit in der Bestimmung Gottes als eines „feststellbar“ gegebenen (notanda) Seienden, ohne diese Ausrichtung zu berichtigen; sie verharrt also als dogmatische Aussage in einer Verfehlung der Art und Weise, sich auf Gott im nach Wissen von Bestimmtheit (als ein Bestimmbares, das bestimmt worden ist, zu wissen) verlangenden Denkens.
Das Unangemessene liegt aber in der Ausübung von bestimmender Urteilskraft, wie sie jedes nach Objektivität strebende Urteil in dessen Bestimmungsform von Identität und Regelhaftigkeit von Identitätsbestimmung bedingt.
Darum gehört zur Adäquatio im Gottesverhältnis zu allernächst die Umkehr, deren Ruf hier die Ausrichtung des Verstandes in seiner Feststellungssucht auf eine für die Theologie grundlegenden Weises einschließt: diese zu verkünden nimmt das NT von den AT-lichen Propheten auf.
Das hier zur Kritik stehende Dogma hingegen weist die Umkehr nicht, verfehlt also auch in dieser Hinsicht eine wesentlichen Weisungsgehalt der Offenbarung.
Mit dem Verharrenlassen des Denkens für das Gottes- und Selbstverhältnis in einem wahrnehmungsorientierten Größen- und Ähnlichkeitsvergleich, steigert es nur ein Unangemessenheitsbewußtsein des Menschen, der in seiner geistigen Orientierung ganz an den Haltungen eines Feststellens hängt, das damit zum pejorativ gebrauchten Inbegriff des Dogmatischen selbst wird, also auf die Dogmatik der Kirche zurückschlägt - und verfehlt die Begründung und damit die Überzeugungskraft für die öffentliche Annahme der Glaubwürdigkeit von Offenbarung und ihrer Maßgabe zur Bildung einer sittlichen und gerechten Gemeinschaft von Personen, die in Freiheit und Verantwortung einander aus ihren geschöpflichen Vermögen achten.
Folgen für die Trinität und die NTliche, christliche Ethik.
Zu Maß im Grund siehe Monologion Einführung
Zu „Größer als gedacht“ siehe Proslogion (vgl. dazu Kirschner – mit Hindrichs S. 460 ff)
Die „Einigung der Liebe in der Gnade“ (DH 806) – kann doch nur in der Identität aus Einheit der Personalität erfolgen – in Teilhabe an der ursprünglichen Vereinigung.
Kirschner – Hindrichs (S. 460 ff) Schöpfungsrelation (bestrachtend) – Schöpfung im Dank der erneuerenden Ordnung als Rettung und Überwindung der Desorientierung.
4.
Die katholische Theologie und Lehre nimmt die Formel des IV. Lateranense in der Regel als gelungene Analogieformel auf.
"Die "via eminentiae", der Weg des Überstiegs, geht davon aus, daß ein restloses Bezogensein der Welt auf Gott ein einseitiges Bezogensein ist. Die Welt kann nicht über ihre restlose Abhängigkeit von Gott hinaus noch einmal ihrerseits konstitutiver Terminus einer realen Beziehung Gottes auf sie sein. Mag die Welt Gott zugleich ähnlich und in ihrer Ähnlichkeit doch unähnlich sein, so ist Gott seinerseits der Welt nur unähnlich." (Peter Knauer SJ) Es soll der Unterscheidung von menschlichen Selbstprojektionen dienen, damit Gott in keine Abhängigkeit von uns und der geschichtlichen Welt gerät - und das entgegen dem Glauben, dass Gott sich in der Menschwerdung (als Kenosis) abhängig gemacht hat (dazu Pannenberg - Kenosis).
Die scholastische Analogielehre fußt auf der Einsicht, daß die reale Relation der Welt auf Gott einseitig sei. Thomas v. Aquin formuliert: "Mag man auch in gewisser Hinsicht zugeben können, daß das Geschöpf Gott ähnlich ist, so ist doch auf keine Weise zuzugeben, daß Gott dem Geschöpf ähnlich sei. Denn eine gegenseitige Ähnlichkeit kann nur bei dem angenommen werden, was der gleichen Ordnung zugehört." (S.th. I q4 a3 ad4) und: "In Gott gibt es keine reale Relation auf Geschöpfe, sondern in den Geschöpfen besteht eine reale Relation auf Gott." (S.th. I q28 al ad3).
Das verkennt das Selbstsein Gottes als Ursprung, Grund der Stiftung und Erneuerung völlig.
"Weil also Gott außerhalb der gesamten Ordnung des Geschöpflichen ist und alle Geschöpfe auf ihn hingeordnet sind und nicht umgekehrt, ist deutlich, daß die Geschöpfe sich real auf Gott selbst beziehen, es aber in Gott keine reale Relation von ihm zu den Geschöpfen gibt, sondern nur eine solche gedachter Art (secundum rationem), insofern die Geschöpfe sich auf ihn beziehen." (S.th. I ql3 a7 c)
„Es ist offenkundig, daß hinter der ständigen, bis heute nicht zur Ruhe gekommenen dialektischen Bewegung in der gesamten Dogmen- und Theologiegeschichte zwischen der Betonung der Einheit und der Betonung der Unterschiedenheit von Gottheit und Menschheit ein ungeklärtes und vielleicht unklärbares Problem steht: das Problem der Vermittlung zwischen Gott und Mensch." (Walter Kasper, Jesus der Christus, Mainz 1974, 283)